Bildung ist grundsätzlich ein Beitrag zur Demokratiebildung. Bundesweite Anerkennung erhält in diesem Zusammenhang das schleswig-holsteinische Programm zur Förderung der Lesekompetenz besonders leseschwacher Schüler*innen "Niemanden zurücklassen - Lesen macht stark". Es startete 2006 als Antwort auf die Feststellung einer damals im Kontext von PISA so genannten "Risikogruppe", die ein Drittel der Schüler*innen der Sekundarstufe ausmachte. Über alle parteipolitischen Veränderungen hinweg wurden die Ressourcen gezielt für die besonders Schwachen eingesetzt und damit ein Beitrag zu deren gesellschaftlicher Teilhabe durch eine verbesserte Kompetenz im Lesen und Schreiben als Grundvoraussetzung für Partizipation eingesetzt.
Bewundernde Aufmerksamkeit aus dem Bundesausland erntete Schleswig-Holstein auch für das Engagement und die eigene im Prozess erkennbare Entwicklungsfähigkeit hinsichtlich des Ressourceneinsatzes bezogen auf eine äußerst kleine Gruppe: So erschien 2014 eine Veröffentlichung des Bildungsministeriums mit dem Titel "Umgang mit Muslimen", die Rechtssicherheit bieten sollte. Diese Veröffentlichung erschien analog zu der hohen Aufmerksamkeit, die die Medien dem religiös begründeten Extremismus 2014 widmeten. Die Aktivitäten der Bildungsadministrationen verschiedener Bundesländer liefen zunächst unter dem Stichwort "Salafismusprävention", so auch das Selbstverständnis der o.g. Veröffentlichung. Laut Verfassungsschutz waren zu diesem Zeitpunkt unter den etwa vier Millionen Muslimen, die in Deutschland lebten, bundesweit 1% dem islamistischen Spektrum zuzurechnen. Darunter wiederum sei eine ganz kleine Minderheit zur Durchsetzung ihrer Ziele gewaltbereit gewesen (S.27). In ihrem Lernprozess berücksichtigten die Verantwortlichen der Bildungsadministration dies sehr bald und benannten die Veröffentlichung in "Religion, Islamismus und Salafismus in Schulen - FAQs und Handlungsleitlinien für Schulleitungen und Lehrkräfte zum Umgang mit besonderen Verhaltensweisen in diesem Kontext" um. Im Vorwort wird dann auch umfassend dargelegt, dass man natürlich nicht alle Muslime meine, sondern nur die Salafisten in den schleswig-holsteinischen Schulen. Auf eine Statistik zu deren regionalen Vorkommen kann leider nicht zugegriffen werden.
Letztlich gehen die Schulen jedoch vor allem pädagogisch und weniger juristisch mit der Thematik um und darin unterstützt sie eine sehr hilfreiche Veröffentlichung, die den Schulen ebenfalls 2014 gratis vom Herausgeber (Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes) zur Verfügung gestellt wurde: "Mitreden! Kompetent gegen Islamfeindlichkeit, Islamismus und dschihadistische Internetpropaganda" . Es handelt sich um ein Medienpaket mit theoretisch fundierter Einführung in die Thematik und pädagogischen Handlungsimpulsen, welches so verfasst ist, dass die Rezeption sich auch in einen ausgefüllten Arbeitsalltag integrieren lässt. Die Autor*innen von ufuq.de richten den Fokus dabei nicht auf möglicherweise bereits radikalisierte Jugendliche, sondern auf die Mehrheit der anderen. "Für Radikalisierungen können Diskriminierungserfahrungen, die junge Muslime selbst machen oder die sie stellvertretend für andere Muslime mitempfinden, eine Rolle spielen." (Mitreden! S. 22, ziertiert nach Haci-Halil Uslucan/Cem Serkan Yalcin: Wechselwirkungen zwischen Diskriminierung und Integration - Analyse bestehender Forschungsstände. Expertise des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Essen 2012, S. 22-42) Es wird darauf verwiesen, dass Diskriminierungserfahrungen zwar nicht der einzige Grund dafür sind, dass Jugendliche unter den Einfluss radikaler islamistischer Ideologie geraten, doch diese Erfahrungen seien "zentrale Anknüpfungspunkte der salafistischen Propaganda." (Mitreden!, S.22) So wird als eines der Ziele der Materialien das "Anerkennen von Diskriminierungserfahrungen" als Beitrag zur Extremismus-Prävention benannt (S. 10/S.31). Rassistische Diskriminierungserfahrungen, die von anderer Seite nicht wahrgenommen werden, greifen Extremist*innen auf und füllen dort wo es beispielsweise von politischer Seite Leerstellen gibt mit ihrer Propaganda das Vakuum. Als Beispiel wird die verhaltene Reaktion der Medien auf den Mord an Marwa El Sherbini 2009 in einem Dresdner Gerichtssaal genannt. Dabei gehe es den Extremist*nnen nicht "um Aufklärung und gesellschaftspolitisches Engagement, sondern um eine bewusste Abgrenzung von den 'Ungläubigen' sowie um die Behauptung einer Sonderstellung als vermeintlich einzig 'wahre Muslime'. Die Erfahrung vieler Jugendlicher mit Diskriminierungen und Anfeindungen ist für sie kein Motiv, sich konstruktiv in die Gesellschaft einzubringen, sondern dient der Legitimation sich abzuwenden sowie dem Ziel, möglichst viele Muslime und Nichtmuslime auf ihre rigide, demokratiefeindliche Interpretation des Islam einzuschwören." (S. 24) So werden "reale Erfahrungen Jugendlicher von Diskriminierung und Ausgrenzung als Opferideologie zugespitzt, in der die Umwelt zum Feind wird, gegen den man sich zusammenschließen und kämpfen müsse." (S. 30) Diese realen Erfahrungen werden ideologisch instrumentalisiert. Umso wichtiger ist die Erfahrung, dass den jungen Muslim*innen geholfen wird, sich gegen Diskriminierung zu wehren, weil sie Unrecht ist. Letztlich gehört dazu auch die Hervorhebung der Möglichkeiten durch das Antidiskriminierungsgesetz.
Vielen Dank für das Interesse!